Im Prinzip ja, aber…!

Die Angst vor dem eigenen Wort

„Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“

Karl Valentin

Erinnern Sie sich noch an das Frühjahr 2019? Damals, als Menschen noch verrückte Dinge gemacht haben. Zum Beispiel sich in Gruppen getroffen haben. Hände geschüttelt haben. Sich umarmt haben. Miteinander geredet haben. Es scheint so weit weg (Spoiler: Es kommt wieder!).

So weit weg wie die Forderungen, welche die meisten Parteien und Gruppierungen in Uhldingen-Mühlhofen zur Kommunalwahl aufgestellt haben. Aufgrund derer sie dann auch gewählt wurden. Und jetzt kommen Sie nicht wieder mit „AbEr KoMmUnAlWaHlEn SiNd NuR PeRsOnEnWahLen!“. Natürlich spielt die Person eine Rolle! Aber eben auch das Programm oder die Forderungen, für welche die Personen einstehen. Die Kandidierenden geben ein Versprechen ab, sich nämlich im Falle der Wahl auch für die Umsetzung der Forderungen einzusetzen. Ich für meinen Teil nehme das ernst. 

Ortsvereinsvorsitzender kündigt Transparenz im neuen Gemeinderat an (Symbolbild)

Alle außer der CDU Fast jede Gruppierung nennt (oft sogar als erstes Ziel!) Transparenz und Bürgerbeteiligung in ihrem Wahlprogramm. Eine Gruppe sieht sich selbst als eine Art Gralshüterin der Transparenz und fordert diese ständig. Aber halt auch nur dort, wo es ihr opportun erscheint. Dazu aber in einem anderen Text bald mehr.

Wie angekündigt habe ich von Tag 1 meiner Amtszeit an das Ziel verfolgt, die Niederschriften bzw. Protokolle der öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen allen, die sich dafür interessieren, leicht und komfortabel zugänglich zu machen. Als zweiten Baustein für mehr Transparenz sollten wir diese alberne Anonymisierung im Mitteilungsblatt bleiben lassen. Das bekommen alle wöchentlich kostenlos ins Haus und da sollte schon drinstehen, wer welche Anfrage gestellt hat. Die Bürger:innen hätten somit schon mal die Basisinformationen. Wenn es jemanden dann näher interessiert, wäre der Diskussionsverlauf zu einzelnen Tagesordnungspunkten dann in der Niederschrift nachzulesen. 

Am einfachsten geht das, indem man die Niederschriften (die ohnehin im Ratsinformationssystem verfügbar sind, sobald sie von uns Ratsmitgliedern in der darauffolgenden Sitzung anerkannt wurden), für die Öffentlichkeit aufrufbar macht und eben die Anonymisierung im Mitteilungsblatt weglässt. Die Freigabe im Internet ist technisch kein Problem, dürfte vermutlich nur ein Häkchen beim Hochladen sein. Da zudem sowieso alle außer der CDU  fast alle Gruppen vor der Wahl für mehr Transparenz waren, sollte das im Rat ja auch eine Mehrheit finden. Dachte ich.

Ortsvereinsvorsitzender, nachdem er mit der Verwaltung gesprochen hat (Symbolbild)

Ist aber wohl doch nicht so einfach, wie ich erfahren musste. Die Gemeindeordnung lässt Interpretationsspielraum (wie ich hier erläutert habe). Da aber etwa 600 von 1.111 Gemeinden in Baden-Württemberg ihre Protokolle veröffentlichen (darunter die meisten aus dem Bodenseekreis), sollte das nicht das Problem sein. Es gäbe laut Auskunft Gemeindetag aber leider noch ein Problem. Nämlich den Datenschutz. Da es sich nämlich um personenbezogene Daten handle, müssten deren Veröffentlichung alle betroffenen Personen zustimmen. Also alle Mitglieder des Rates, der Bürgermeister, die Mitarbeiter:innen der Verwaltung, die entweder selbst reden oder genannt werden, eventuelle Dritte usw.

Ja, ok. Das wäre wirklich ein Hürde. Aber machbar. Die Ratskolleg:innen sollten doch ein Interesse daran haben, dass ihre Arbeit veröffentlicht wird und möglichst viel Beachtung findet. Der Bürgermeister sowieso und die Mitarbeiter:innen in der Verwaltung machen ihre Arbeit und die machen sie gut. Warum also sollte jemand was dagegen haben?

Wir haben das im Rat andiskutiert, als es in der Sitzung vom 27. April 2021 (vgl. hierzu Südkurier vom 10. Mai 2021) um Änderungen der Geschäftsordnung ging, die selbige behutsam an die digitale Realität anzupassen. Folgendes kam während oder nach der Sitzung an Äußerungen (sinngemäß):

  • „Dagegen!“
  • „Müssen wir gar nicht drüber abstimmen! Bin ich sowieso dagegen!“
  • „Wenn jemand das lesen will, soll er ins Rathaus gehen!“
  • „Wenn jemand das lesen will, soll er einen Gemeinderat fragen! Die haben Zugriff.“
  • „Ich will nicht falsch oder verkürzt zitiert werden!“
  • „Wer weiss, was in den Soziale Medien da draus gemacht wird!“
  • „Ich bin auch dagegen!“
  • „Interessiert niemanden!“
  • „Wenn ich nicht mehr im Rat bin, kann man das immer noch lesen!“
  • „Was ich vor Jahren gesagt habe, könnte gegen mich verwendet werden!“
  • „Ich will das nicht!“
  • „Dann muss ich mich ja vielleicht rechtfertigen für das, was ich da gesagt habe!“
  • „Dann ist das viel mehr Aufwand mit der Kontrolle der Niederschriften. Da wird sich dann ständig jemand beschweren, dass etwas falsch wiedergegeben würde!“
  • „Die Ratsmitglieder werden dann viel mehr auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit achten!“
  • „Die weniger Wortgewandten kommen zu kurz!“

Scheint doch kein Selbstläufer zu werden. Am Ende liest noch jemand die Protokolle und konfrontiert mich mit meiner eigenen Meinung! Skan-da-lös!

In Gesprächen im Vorfeld mit anderen Ratsmitgliedern und dem Bürgermeister (der übrigens vor der Wahl auch Transparenz versprochen hat) wurde ich prinzipiell in meinen Ansichten bestätigt. Was dann an „Argumenten“ im Rat kam, hat mich aber überrascht und offenbart an manchen Stellen ein aus meiner Sicht sehr interessantes Verhältnis zur Demokratie und ihren Institutionen. Der „Riss“ geht mitten durch die Fraktionen. Nur die SPD-Fraktion ist sich einig.

Natürlich sind wir als Ratsmitglieder Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, zu erfahren, was wir da so bereden. Dieses Recht hat sie jederzeit. Nicht nur als Besucher:in während der Sitzungen oder zu den Öffnungszeiten des Rathauses. Ich kann auch die Sorge nachvollziehen, sich unversehens im Mittelpunkt eines Shitstorms wiederzufinden. Aber das gehört dazu, auch als ehrenamtlich in der Politik tätige Person und dann kommt es auf die Solidarität der Kolleg:innen und der eigenen Gruppierung an. Wir werden uns damit anfreunden müssen, dass auch ohne veröffentlichte Protokolle und Namensnennung im Mitteilungsblatt der Ton rauer werden wird (siehe Leserbriefe zur EBC). Ich für meinen Teil werde niemanden im Regen stehen lassen.

Ortsvereinsvorsitzender bleibt bei seiner Meinung (Symbolbild)

Da waren sie wieder, die „dicken Bretter“. Aber durch die kommt man nie durch, wenn man nicht mal anfängt, zu bohren. Ich hab jetzt angefangen und ich bin sicher, dass die Wähler:innen auch eine Meinung dazu haben. Also tun Sie diese kund! Kommen Sie in die Sitzungen. Schreiben Sie den Kolleg:innen einen Brief, eine Mail, eine Nachricht in den Sozialen Medien. Schicken Sie ein Fax. Was auch immer Ihr bevorzugtes Kommunikationsmittel ist. Das, liebe Leser:innen, ist nämlich ein Top-„Argument“ derjenigen, die ihre Namen nicht im Internet und auch nicht im Mitteilungsblatt sehen wollen: „Das interessiert doch niemanden!“ Aber Desinteresse ist der Tod der Demokratie!

Also unterstützen Sie meine Kolleg:innen und mich im Einsatz für mehr Transparenz! Nur so können wir was verändern. Sonst sieht es in einigen Jahrzehnten so aus, wie auf dem nächsten Bild. Und das kann nun wirklich niemand wollen.

Ortsvereinsvorsitzender im Jahr 2051 bei seiner alljährlichen Forderung, die Protokolle ungefiltert ins Netz zu stellen.